robotspaceship: Wie schafft man es, den Boden für Innovation zu bereiten?
Lina Timm: Man muss den Leuten Freiraum und die Erlaubnis geben, zu experimentieren. Das sehe ich bei uns im Team und in der Förderung von Startups immer wieder. Wenn man sich anschaut, in welcher Lebenswelt Startups unterwegs sind, dann gibt es da oft einfach keine übermäßig große Organisation, die viele Schranken vorgibt. In einer kleinen Firma hast du irgendwie von selbst die Erlaubnis bekommen, zu experimentieren.
Also die Erlaubnis, von sich aus Innovation zu betreiben?
Ja.
Aber es gibt halt eben nicht nur Startups und kleine Firmen.
Und in allen anderen ist es wichtig, genau diese Restriktionen abzubauen – und sollten sie nur in den Köpfen der Mitarbeiter:innen existieren.
Wie meinst du das?
Wenn man in größeren Organisationen unterwegs ist, hört man oft, dass die Leute sagen: „Das ist nicht mein Job!“ oder „Eigentlich ist meine Rolle diese.“ oder „Ich habe nur das und das Projekt“. Also muss man ein Klima schaffen, das diese Schranken aufhebt, in dem es allen erlaubt ist, auch über die Projekte anderer nachzudenken. Vielleicht sollte man das sogar nicht nur fördern, sondern auch fordern. Das hat dann nur einen Haken.
Welchen?
Man darf das Fordern nicht so verstehen, dass Führungskräfte erwarten, dass Mitarbeiter:innen auf einmal mit der nächsten Millionen-Idee um die Ecke kommen. Es geht darum, Dinge weiterzuentwickeln. Eine Kollegin von mir hat das mal als die Zehn-Prozent-Innovation bezeichnet.
Das reicht?
Du kannst mit ganz viel „Ich mache das jetzt zehn Prozent besser!“ auf sehr viel Disruption kommen. Damit ist dann auch der Druck nicht so hoch, dass Dinge jetzt sofort etwas bringen müssen. Am wichtigsten ist aber, dass man klarmacht: Man darf nicht nur, sondern man SOLL über neue Dinge nachdenken.
Klingt so, als könne man damit relativ schnell Chaos stiften, oder?
Interessanter Take! Ja, schon. Deshalb müssen Führungskräfte Leitplanken vorgeben. Ich muss mich daran auch immer wieder erinnern, aber das ist sehr wichtig. Je selbständiger Leute werden sollen, je selbständiger dein Team sein soll, desto mehr muss klar sein, in welche Richtung sie laufen sollen. Sonst läuft nämlich jede:r in eine andere Richtung und der ganze Laden kommt überhaupt nicht vom Fleck.
Innovation ist also eine Frage des Teams?
Am Ende ist es vor allem ein Leadership-Thema. Dazu gehört eben auch, dass nicht jede:r einfach macht, was er oder sie will. Man muss sich schon darauf einigen und festhalten, wohin es gehen soll, welches Problem gelöst werden soll, welches Ziel wir vor Augen haben. Wichtig ist, dass klar ist, dass es hier um einen Team-Effort geht.
Wer sind diese Personen, die da die Richtung vorgeben? Chef:innen oder extra eingesetzte Innovations-Menschen?
Ich bin immer wieder zu der Erkenntnis gekommen, dass das der Chef oder die Chefin sein muss. Es gibt Organisationen, da versucht das mittlere Management händeringend, dem eigenen Team die Freiräume zu geben. Dann hast du aber den Chef ganz oben und der sagt: „Alles ganz nett, aber wie sind denn jetzt die Print-Zahlen?“ Und dann kannst du dich noch so sehr bemühen, das Digitale vorne ran zustellen, wenn du so eine implizite Mitteilung bekommst, dass es die Geschäftsführung am Ende nicht interessiert. Da kämpfst du dich tot und deshalb ist es einfach so essenziell wichtig, dass alle mit an Bord sind.
Wie sieht das bei euch im Media Lab aus?
Wir sind natürlich kein klassisches Medienunternehmen. Wir haben demnach keine Print-Zahlen. Aber es gibt uns jetzt seit acht Jahren und ich merke, dass auch bei uns mittlerweile ab und zu der Satz kommt:“Das haben wir doch schon immer so gemacht“. Man hat ja auch einfach Dinge über die Jahre gelernt, die funktionieren. Und es ist dann immer wieder eine Challenge, dass wir hinterfragen, was wir tun. Wir haben sehr viele Stellen, an denen wir uns immer wieder neu erfinden müssen, wir sind schließlich ein Innovationslabor
Muss man die Leute daran erinnern, sich selbst zu hinterfragen?
Ja, oft regelt es aber auch der Markt. Ich habe schon immer viel mit Medienhäusern gesprochen. Ich wollte herausfinden, was die brauchen. Jedes Unternehmen muss sich überlegen, was die eigenen Kund:innen eigentlich brauchen. Es ist so wichtig, dass man das als Führungskraft auch mitbekommt, am allerbesten first hand. Ich kann nicht nur meine Firma managen, ich muss weiter hören, was die Kund:innen sagen und brauchen. Man ist nicht gut, sich das Kund:innen-Feedback von seinem Team vorfiltern zu lassen, es ist eines der wichtigsten Dinge, dass man da selbst dran bleibt.
Warum?
Ich würde erst noch eine Sache ergänzen: Es geht gar nicht nur darum, sich mit seinen Kund:innen zu befassen, es geht darum, sich mit seiner Zielgruppe zu befassen. Das können ja auch noch Kund:innen sein, die noch nachkommen. Und warum? Als Führungskraft muss ich wissen, wo meine Firmagerade steht. Ich kann nicht mit AI und ChatGPT um die Ecke kommen, nur weil ein Hype da ist, und dann sagen die Kund:innen mir, dass sie damit schon arbeiten und uns gar nicht brauchen. Nur wer immer im Kontakt ist, weiß, ob er mit seinen Ideen noch richtig liegt.
Kommt spät, die Frage, aber: Wie definierst du eigentlich Innovation?
Da sind wir wieder bei den 10 Prozent. Mein Lieblingsbeispiel dazu ist Netflix. Die haben auch nicht einfach einen Streaming-Service aus dem Boden gestampft. Die haben die DVDs per Post versandt. Damit ist Netflix gestartet und das waren 10 Prozent Innovation. Du musstest nicht mehr in den Laden kommen, sondern man hat die DVDs dann halt per Post bekommen. Bis es dann zum Streaming kam, gab es noch viele kleine Schritte, die gegangen werden mussten. Deshalb ist Innovation für mich das konstante Hinterfragen dessen, was du gerade tust.
Wie misst man den Erfolg von Innovationsprojekten? Geld kann es ja nicht immer sein, oder?
Ich habe so viele Jahre darüber nachgedacht und bin dann zu dem Schluss gekommen: Eigentlich misst man besser Learnings. Es ist genau wie du sagst, du kannst Innovationen nicht in KPIs messen. Jedenfalls kann man nicht sagen, dass, wenn keine Millionen Umsatz dabei rausgekommen ist, es keine gute Innovation war. Die Fragen sind doch immer: Hat dein Team was daraus gelernt? Haben wir als Organisation etwas daraus gelernt und sind wir vorangekommen? Verstehen wir jetzt besser, welches Produkt jetzt gerade das richtige ist für den Markt? Es gehört deshalb zur Innovation nicht nur dazu, neue Sachen zu erfinden, sondern auch, Themen zu evaluieren, wirklich gute Retros zu machen und sich durchzukauen: Funktioniert das, was wir da gerade aufgesetzt haben, funktioniert es nicht? Und wenn es nicht funktioniert, wie nehmen wir diese Learnings mit?
Können Unternehmen das aus sich heraus oder brauchen sie Hilfe dabei?
Ich glaube, das kommt sehr auf die Unternehmen an und die Leute, die in ihm arbeiten. Ich will gar nicht ausschließen, dass Unternehmen das selber können. Aber du musst halt gewillt sein, dich regelmäßig und immer wieder zu hinterfragen. Es ist ja nicht so leicht zu erkennen, dass Dinge, die man schon immer so gemacht hat, vielleicht mal anders gemacht werden sollten und selbst zu sehen, ob das, was man gelernt hat, noch gilt. Jedes halbe Jahr dreht sich unsere Gesellschaft weiter, dreht sich die Technologie weiter. Gerade im Medienbereich hast du so viel Nutzungswechsel da drin, da muss man ständig dran bleiben und es ist leicht, diesen Wandel im frühen Stadium zu übersehen.
Wie begegnet man dem?
Wenn bei uns zum Beispiel ein Mitarbeitender neu anfängt, sage ich immer, dass die Leute uns auf alles aufmerksam machen sollen, was sie irgendwie für schwachsinnig halten könnten. Meistens haben sie dann recht und wir sehen es nur nicht mehr. Diesen Blick muss man versuchen, sich zu bewahren.
Das klingt, als könnte die ganze Sache auch ziemlich schmerzhaft sein!
Das kann total wehtun und hat mir auch schon selber wehgetan. Wir sind stark gewachsen und irgendwann kam ein Kollege, der wollte viele Prozesse umstellen. Da bin ich richtig auf die Barrikaden gegangen. Wir hatten uns so viele Gedanken gemacht, dass wir das genau so aufbauen. Es fühlte sich erstmal so an, als könnten wir das nicht gleich wieder alles umstellen. Irgendwann ist mir dann aufgefallen, dass unsere Gedanken dazu auch schon drei Jahre alt waren und in unserer jetzigen Größe einfach nicht mehr funktionierten. Dann war klar: Der Kollege hatte natürlich recht. Und ich habe mich geärgert, dass ich das nitch selbst früher gesehen hatte.
Wer ist Lina Timm
Lina Timm hat 2015 das Media Lab Bayern gegründet, um Journalist:innen zu befähigen, Journalismus und Medien zu innovieren. Inzwischen hat das Lab über 100 Start-ups und viele Medienunternehmen dabei unterstützt, die Medienlandschaft zu verändern.
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